Gaby hat Lipödem. Seit ihrer Schwangerschaft vor knapp 30 Jahren ist sie den vermeintlichen Babyspeck nicht mehr losgeworden. Dabei ist die Form ihrer Beine anders als bei anderen Frauen. Durch einen Zufall las sie von einer anderen Frau, die von ihrer Krankheit berichtete: Lipödem. Was aber ist diese Fettverteilungsstörung, unter der, laut Deutschem Ärzteblatt, jede zehnte Frau leiden soll? Und wie unterscheidet sie sich von Übergewicht? Welche Symptome sprechen dafür? Und wie unterscheidet sich das Lipödem von anderen Ödemerkrankungen?
MINA hat sich mit Betroffenen unterhalten, sie alle treffen sich regelmäßig in einer Selbsthilfegruppe oder online:
Was ist ein Lipödem?
Lipödem ist eine chronische Erkrankung an der hauptsächlich Frauen leiden, meist nach hormonellen Umstellungen wie in der Pubertät oder nach der Schwangerschaft. Im Verlauf der Fettverteilungsstörung kommt es zur krankhaften Vermehrung des Unterhautfettgewebes. Kennzeichnend ist die symmetrisch verteilte Fettanlagerung an Beinen, Hüfte und Armen, wobei Hände und Füße unbeeinträchtigt bleiben. Dies führt zu dem Missverhältnis der körperlichen Proportionen. Durch eine vermehrte Einlagerung von Wasser im Gewebe kommt es zur Bildung sogenannter Ödeme. Folgen sind Beschwerden wie „schwere Beine“, Berührungsempfindlichkeit, Schmerzen bis hin zu Bewegungseinschränkungen.
Trotz seiner Verbreitung bleibt das Lipödem oft unterdiagnostiziert und unerkannt, was zu erheblichem Leiden und Einschränkungen im Alltag führen kann. Oftmals gehen die Betroffenen anfangs einfach von einer Gewichtszunahme als Ursache aus mit dem Vorsatz durch Diäten und Sport die Pfunde wieder purzeln zu lassen. Hilft dies nicht, wird ärztlicher Rat gesucht. Leider wird auch in der ärztlichen Praxis bei nicht wenigen Betroffenen das Lipödem als Übergewicht oder Fettleibigkeit fehlgedeutet. Hier helfen Fachärzte (mehr dazu weiter hinten im Beitrag).
Etwa jede zehnte Frau hat ein Lipödem. Die Dunkelziffer wird jedoch deutlich höher liegen, denn die Hälfte der Lipödeme wird meist erst nach zehn Jahren plus diagnostiziert. Ein Viertel aller Lipödeme wird sogar erst nach dreißig Jahren und mehr diagnostiziert. Der Weg bis zur Diagnose ist weit und meist missverständlich.
Lipödem, Lymphödem oder Lipolymphödem?
Lipödem:
„reines Lipödem“: keine Lymphabflussstörung, das Lymphgefäßsystem kann die lymphpflichtige Last selbstständig und vollständig abtransportieren.
Lymphödem und Lipolymphödem:
- primäres Lymphödem: meist vererblich aufgrund angeborener Defekte des Lymphgefäßsystems
- sekundäre Lymphödeme und Lipo-Lymphödeme: sind aufgrund der schwindende Transportkapazität der Lymphgefäße entstanden (degenerativer Vorgänge)
Hierbei ist das kranke Gewebe meist einseitig mehr betroffen. Beispielsweise ist der linke Arm geschwollener als der rechte, oder das rechte Bein schlimmer als das linke. Oder auch der Rumpf kann „voll laufen“.
In welchem Stadium von Lipödem kann man von einem Lipo-Lymphödem betroffen sein?
Die Krankheit und ihr Verlauf ist individuell. Und ganz selten liegt auch eine angeborene Lymphschwäche vor.
Betroffene berichten
Tina kennt das. „Als Kind war ich eher dünn. Noch eher unförmig und drahtig. Ich hatte nie Probleme mit meinem Gewicht, obwohl meine Beine damals Baumstämmen glichen. Doch kein Sport und keine Diät brachten dauerhaft Erfolg. Ich schob es auf die Antibabypille.” Eigentlich, so sagt die heute Vierzigjährige, ist sie bereits ihr Leben lang auf Diät. Dennoch nimmt sie zu. Sie macht regelmäßig Sport (geht Walken und Schwimmen), ernährt sich gesund, hat, bevor sie die Diagnose bekam, jede Diät ausprobiert. Dennoch wuchsen ihre Oberschenkel. Nun isst sie bewusst und ausgewogen. Vor drei Jahren bekam sie, eher durch Zufall die Diagnose gestellt. Da war sie bereits 37 Jahre alt. Seitdem sucht sie sich Hilfe über die Sozialen Medien und in einer Selbsthilfegruppe. Diese gibt es sowohl online als auch in zahlreichen Städten. Eine Auskunft dazu gibt beispielsweise www.lipoedem-hilfe-ev.de
Tina hat ein reines Lipödem Stadium 2 bis 3. Doch auf die Frage, Liposuktion oder konservative Therapie bei Lipödem, ist ihre Antwort sehr deutlich: Sie wird sich nicht operieren lassen. Aus Angst vor Folgeerkrankungen. Einem Lymphödem zum Beispiel. Oder, dass das Lipödem zurückkommt.
Julia, 32 Jahre, hat vor 17 Monaten ihren Sohn zur Welt gebracht und hat vor vier Wochen ihre Erstdiagnose bekommen, weil sie nach der Schwangerschaft „seltsame Schmerzen“ in den Beinen hat und ihre „Pölsterchen“ zu Polstern wurden. Sie hat ein „reines“ Lipödem.
Eva, 41 Jahre, hat es an Leni weitergegeben. „Meine Oma Maria hat es auch“, sagt Leni. Alle drei Frauen haben ein Lipolymphödem, also ein Lipödem, das in seinem Verlauf ein Lymphödem mit sich brachte. Auch Eva wurde eine Liposuktion von einem Chirurgen zum Selbstzahlerpreis angeboten, doch sie lehnte ab. Das Lymphödem bereitete ihr Sorgen, vor allem in Hinblick auf die Wundheilung und sonstigen Komplikationen.
So wie Gaby, Tina, Julia, Eva, Leni und auch Maria geht es vielen Frauen.
Von ersten Symptomen zur ersten Behandlung
Die Symptome des Lipödems variieren von Patientin zu Patientin, umfassen jedoch meist Schmerzen, Schwellungen und eine verminderte Beweglichkeit. Frauen, die an Lipödem leiden, erleben oft auch Empfindlichkeit der Haut und trockene Hautpartien, insbesondere im Intimbereich. Besonders auch Betroffene eines Intimödems. Nicht nur Körperbild ist beeinträchtigt, sondern auch die Hautgesundheit.
Kompressionsstrümpfe spielen eine wichtige Rolle bei der Reduzierung von Schwellungen und der Verbesserung der Durchblutung. Darüber hinaus können spezielle Cremes und Lotionen helfen, trockene Haut zu lindern und die Hautgesundheit zu fördern.
Auch der Intimbereich kann durch überlappende Haut und vor allem in der Kompressionshose unterstützende Pflege gebrauchen. Hierfür jedoch muss das Pflegeprodukt fettarm sein, sonst leidet das Kompressionsmaterial.
Unser KadeHydro Befeuchtungsgel befeuchtet intensiv und ist wasserbasiert mit Hyaluronsäure, was die Hautbarriere schützt.
Heilung in Sicht?
Trotz inzwischen stärkerer Forschung, ist die Erkrankung leider bislang nicht heilbar, da bis heute keine eindeutige Ursache bekannt ist. Ziele der Behandlung sind die Besserung der bestehenden Beschwerden und einer zunehmenden Fetteinlagerung entgegenzuwirken. Zentrale Bausteine der Therapie sind die Kompressionstherapie, Lymphdrainage bei fortgeschrittenen Stadien, sowie ausreichend Bewegung.
Welcher Arzt stellt die Diagnose Lipödem?
Die Diagnose des Lipödems erfordert oft die Expertise von Fachärzten und Spezialisten.
Neben einer gründlichen körperlichen Untersuchung können Bildgebungsverfahren wie Ultraschall und MRT eingesetzt werden, um das Ausmaß der Fettvermehrung und die Struktur des Unterhautfettgewebes zu beurteilen. Die Diagnose, allein über eine Laboruntersuchung oder ein bildgebendes Verfahren, ist jedoch nicht möglich. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um eine angemessene Behandlung einzuleiten und das Lipödem-Management zu optimieren.
In einigen Fällen kann eine Liposuktion (Fettabsaugung) erwogen werden, um überschüssiges Fettgewebe zu entfernen und die Symptome zu lindern. Dieser chirurgische Eingriff kann das Körperbild und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern.
Fachärzte, wie Lymphologen oder auch Dermatologen, Angiologen oder Phlebologen geben Auskunft darüber, wie weit die Krankheit fortgeschritten ist, ob das Lymphgewebe betroffen ist und welche Therapie sinnvoll ist. Eine Überweisung an einen spezialisierten Chirurgen gibt ein Facharzt ebenfalls. Dieser wiederum beantwortet Fragen, zum Beispiel:
- Ist die Operation schmerzhaft?
- Wie lange bin ich danach eingeschränkt?
- Wie stark sind die Schmerzen?
- Gibt es einen Unterschied zwischen der Liposuktion beim Lipödem und der ästhetischen Fettabsaugung?
- OP-Techniken: Welche Methoden der Liposuktion bei Lipödem gibt es?
- Kommt das entfernte Fett nach der Lipödem-Liposuktion zurück?
- und alternativ: Lohnen sich die Schmerzen nach der OP?
Werden die Kosten einer Liposuktion bei der eindeutigen Diagnose „Lipödem” von den Krankenkassen übernommen?
Ja, unter gewissen Umständen (z.B. Stadium und BMI) wird die Liposuktion von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Aber: Eine Fettabsaugung ist kein Garant dafür, dass die Krankheit weg bleibt und nicht noch schlimmer wird.
Wie werde ich ein Lipödem in meinen Beinen los?
Die bereits erwähnten Maßnahmen können Symptome lindern und den Ist-Zustand halten. Sie führen jedoch nicht zur Abnahme der Fettansammlung. Hier ist die einzige Möglichkeit eine operative Fettabsaugung. Dabei handelt es sich nicht um einen kosmetischen Eingriff, sondern eine medizinische Notwendigkeit zur Linderung der Symptome. Auch hier gibt es verschiedene Methoden, die Betroffene mit einem Facharzt z.B. Chirurgen besprechen sollten.
Doch ist dieser Eingriff schwerwiegend und kann zahlreiche Risiken bergen. Besonders dann, wenn der Lymphfluss beeinträchtigt wird und die Wundheilung gestört ist.
Aber…
Kann ich das Lipödem beeinflussen?
Ja! Früher ist man noch davon ausgegangen, dass die Erkrankung fortschreitend verläuft, unabhängig von der Behandlung. Davon rückt man immer weiter ab. Erfahrungen zeigen, dass die konsequente Durchführung der Kompressionstherapie, regelmäßiger Sport (zwei- bis dreimal die Woche) und ein Halten des Gewichtes die Verschlechterung verhindern können. Empfehlenswert beim Lipödem gelten alle Sportarten, die im Wasser stattfinden, wie Schwimmen oder Aqua-Jogging, sowie Gymnastik, Walking, Joggen und Radfahren. Auch eine ausgewogene und gesunde Ernährung trägt zum Erhalt des Ist-Zustandes bei.
Ist Lipödem am Bauch oder vermehrtes Fett am Bauch eine Frage der Ernährung? Jein. Lipödem am Bauch ist selten, aber möglich. Mit einer strikten Diät ist dagegen jedoch nichts zu machen. Eine gesunde, ausgewogene Lebensführung ist viel wichtiger.
Es gibt Hilfe
Alle betroffenen Frauen sollten sich auch der Veränderungen bewusst sein, die während der Pubertät, Schwangerschaft und Menopause auftreten können, da diese Phasen das Lipödem verschlimmern können. Auch sollten sie sich mit ihren Symptomen und Behandlungsoptionen vertraut machen und Unterstützung von Fachkliniken und Experten in Anspruch nehmen. Und auch das öffentliche Lipödem-Bewusstsein muss höher werden, um die Unterstützung und Hilfe für Betroffene zu verbessern.
Den Besuch von Selbsthilfegruppen empfehlen jedoch alle befragten Betroffenen. Selbsthilfe bei Lipödem sei wichtig, um mit den Herausforderungen dieser Erkrankung umzugehen. Im Austausch gibt es Tipps, welche Gesundheitsexperten besonders geeignet sind und wie sich das Lipödem-Management optimieren lässt. Ob es in Eurer Gegend eine entsprechende Selbsthilfegruppe gibt, kann auch beispielsweise eine Selbsthilfekontaktstelle nennen.