Nichts gegen eine Intim-Rasur. Für viele gehört der getrimmte Busch im Intimbereich zum individuellen Erscheinungsbild und die möglichen Frisuren sind ebenso vielfältig wie kreativ. Kritisch sehen MINA und ihre Kolleginnen im Blog allerdings den Trend zur „Designer-Vulva“, denn die steigende Zahl der Schamlippen-Operationen (Labiaplastik) alarmiert. Makellose, im Internet veröffentlichte Bilder zeigen uns, was vermeintlich schön, normal oder gut ist. Zum Glück ist die Realität weit weg von diesen fragwürdigen Schönheitsidealen. Vielfalt statt Einheits-Vulva! MINA hat mit Hilde Atalanta gesprochen. Auf dem Instagram-Kanal „The Vulva Gallery“ setzt sich Hilde für Diversität und für die Akzeptanz des eigenen Körpers ein.
Wie bist du auf die Idee gekommen, „The Vulva Gallery“ ins Leben zur rufen? Und wann hast du damit begonnen, Vulven zu zeichnen?
Vor einigen Jahren besuchte ich eine Vorlesung an der Universität von Amsterdam und erfuhr von dem enormen globalen Anstieg an Labiaplastiken. Ich habe mich gefragt, woher dieser Wunsch nach der perfekten Vulva kommt, und habe angefangen, zu diesem Thema zu recherchieren. Mir fiel auf, dass Darstellungen von Vulven in den Massenmedien häufig nicht vielfältig sind und es nur wenige Menschen gibt, die offen über genitale Vielfalt – und vor allem über ihre eigene Vulva – sprechen. Ich selbst habe als Kind und Teenager während des Sexualkundeunterrichts nie etwas darüber gelernt. Der Unterricht konzentrierte sich lediglich auf Biologie und Safer Sex. Oder genauer gesagt: Wie man nicht schwanger wird und wie man sexuell übertragbare Krankheiten vermeidet. Dadurch hat sich irgendwie ein völlig falsches Bild von unserem Körper in unseren Köpfen entwickelt. Viele Menschen denken, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Aber das ist nicht richtig und deshalb habe ich 2016 „The Vulva Gallery” gegründet, um über dieses Problem aufzuklären. Es ist eine Online-Galerie (@the.vulva.gallery) und Bildungsplattform zugleich. Damit können Themen angesprochen werden, die leider immer noch stigmatisiert werden. Seit 2016 wächst die Community stetig, so dass mittlerweile mehr als 500.000 Follower mit mir gemeinsam dieses stigmatisierte Bild der Vulva verändern möchten.
Wie viele Illustrationen gibt es mittlerweile?
Ich glaube, ich habe bisher über 1.500 Vulva-Illustrationen erstellt, von denen 500 persönliche Vulva-Porträts sind – basierend auf Vulven von echten Menschen aus der ganzen Welt, die zur Galerie beitragen wollten.
Wie hat sich dein Projekt weiterentwickelt?
Nachdem „The Vulva Gallery” eine Weile online war, habe ich gemerkt, dass es Zeit für einen nächsten Schritt war. Ich wollte Bildung und Bewusstsein für dieses wichtige Thema ins Wohnzimmer, ins Berufsleben oder in die Schulen bringen. So ist das Buch „The Vulva Gallery” für die Offline-Welt entstanden. Man kann das Buch durchblättern, z.B. bei offenen Gesprächen über Sexualität mit einem Elternteil oder Freund – es ist aber auch perfekt, um sich damit alleine zurückzuziehen. Mit seinen persönlichen Geschichten und Vulva-Porträts von echten Menschen stellt es einen neuen Ansatz zur sexuellen Aufklärung dar. Es kann von Gynäkologen ebenso verwendet werden, wie in Schulen während des Sexualkundeunterrichts, um über die Vielfalt des Körpers zu sprechen. Das Buch verwendet eine geschlechtsspezifische Sprache und geht sehr positiv mit Sexualität und Vielfalt um.
Dank einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne (Online-Plattform zur Anschub-Finanzierung kreativer Projekte; Anm. d. Red.) konnte ich das Buch mit dem Titel „A Celebration of Vulva Diversity“ verwirklichen.
Nach der ausverkauften ersten Auflage von 2.500 Exemplaren findet die zweite Auflage des Buches nun ihren Weg zu Lesern auf der ganzen Welt. Einen Teil meines Aufklärungsmaterials gibt es jetzt auch auf deutsch.
Wie sind die Reaktionen?
Die Reaktionen, die ich erhalte, sind sehr positiv. Viele Leute schreiben mir in E-Mails, dass sie keine Ahnung davon hatten, wie unterschiedlich Vulven überhaupt aussehen können, bevor sie auf die „The Vulva Gallery” gestoßen sind. Sie sind regelrecht erleichtert, wenn sie erkennen, dass mit ihrem Körper alles in bester Ordnung ist. Einige Leute haben mir sogar erzählt, dass sie wegen der Vulva-Galerie eine geplante Labiaplastik abgesagt haben. Mir zeigt das, wie wirksam es ist, Vielfalt zu zeigen und Gespräche zu diesem Thema zu eröffnen.
Was rätst du Menschen, die sich wegen ihrer Vulva unsicher fühlen?
Wer sich wegen des Aussehens seiner Vulva unsicher ist, dem würde ich raten, sich überhaupt erstmal mit dem eigenen Körper und vor allem dem eigenen Intimbereich zu beschäftigen. Was gehört zur Vulva? Wo ist der Unterschied zur Vagina? Darüber hinaus ist es sicher auch hilfreich, sich die menschliche Vielfalt und die persönlichen Geschichten anderer auf „The Vulva Gallery” oder ähnlichen Projekten anzuschauen. Viele von uns wissen nicht einmal, dass die Klitoris ein eigenes Organ ist und viel größer, als nur die Spitze, die aus der Klitorishaube herausragt. Das Kennen und Verstehen der eigenen Anatomie ist ein erster und sehr wichtiger Schritt, um den Körper zu verstehen und zu schätzen. Ich denke auch, dass es wichtig ist, sich nicht zu sehr mit anderen zu vergleichen – und ich weiß, dass dies sehr schwierig sein kann. Jede Vulva ist auf ihre eigene Weise schön. Es gibt viele verschiedene Körpertypen, Haartypen, Hautfarben, verschiedene Gesichter, Brüste, Hintern, Hände, Füße – es ist unmöglich, nach einem „perfekten“ Typ zu streben. Und es wäre auch so langweilig! Die Unterschiede machen ja jeden so interessant. Ich denke, wenn wir anfangen, unsere Körper anders zu betrachten; in positiven Kategorien anstatt „seltsam“, „verkehrt“ oder „hässlich“, auf eine Weise, die unsere Vielfalt feiert, indem wir die Dinge betrachten, die uns besonders machen, dann ist das ein großer Schritt nach vorne.
Welche Ziele hast du als Nächstes?
Ich würde gerne ein zweites Buch über Vielfalt mit Illustrationen aus meinem anderen Projekt „You’re Welcome Club“ (@yourewelcomeclub auf Instagram) erstellen. Hier feiere ich Vielfalt, indem ich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Sexualitäten, Geschlechtsidentitäten und Körperformen zeige. Ich möchte eine Reihe von Illustrationen machen, in denen sich diese Menschen wiedererkennen und lege meinen Schwerpunkt auf Personen, die normalerweise nicht so oft dargestellt werden. Ich möchte, dass sie sich willkommen und einbezogen fühlen und wissen, dass sie genauso zu unserer Gesellschaft gehören, wie alle anderen.
Wie kann man eigentlich Teil von „The Vulva Gallery“ werden?
Die Porträts, die ich male, basieren auf eingesandten Fotos. Wer in die Galerie aufgenommen werden möchte, kann mir eine E-Mail senden und erhält einige Informationen und Richtlinien für die Aufnahme. Ich behandle alle E-Mails persönlich und vertraulich. Die „The Vulva Gallery” ist übrigens geschlechtsinklusiv und heißt alle willkommen.
Eine Vulva definiert nicht die Geschlechtsidentität: Viele Menschen mit einer Vulva identifizieren sich nicht als Frau. Es gibt ein breites Spektrum an Geschlechtsidentitäten (um nur einige zu nennen: nicht-binär, agender, geschlechtslos, geschlechtsneutral, genderfluid, bi-gender, genderqueer); und ich verwende inklusive Begriffe, um sicherzustellen, dass sich jeder willkommen fühlt.
By the way: Das Buch von Hilde Atalanta und buchstäblich vielfältige Geschenkartikel gibt es online unter thevulvagallery.com. Und wer jetzt das Gefühl hat, dass es mal wieder an der Zeit für mehr Selbstwertschätzung ist, findet hier einige Anregungen.